Steglitzer Kirchenmusiktage


Katholische Pfarrkirche MATER DOLOROSA


Berlin-Lankwitz, Kurfürstenstr. 59


Sonntag, 7. Oktober 2007, 17.00 Uhr


K i r c h e n - K o n z e r t



T o m m a s o V i t a l i

1663 – 1745


Chaconne g-moll für Violine und Generalbaß


D i e t r i c h B u x t e h u d e

1637 – 1707


Präludium und Fuge fis-moll


J o h a n n S e b a s t i a n B a c h

1685 – 1750


Partita Nr. 1 d-moll, BWV 1002 für Violine solo

Allemande – Double; Courante – Double; Sarabande – Double;

Tempo di Bourrée – Double


M a x R e g e r

1873 – 1916


Intermezzo für Orgel, aus op. 80


J o s e f R h e i n b e r g e r

1839 – 1901


Thema mit Veränderungen für Violine und Orgel, op.150


M a x R e g e r


Fantasie und Fuge d-moll für Orgel, op.135b


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Maria Stabrawa, Violine

Daniel Stabrawa, Violine

Hans Peter Simonett, Orgel


Eintritt frei – Spenden erwünscht zu Gunsten der Stiftung Mater Dolorosa

Die Vitali zugeschriebene Chaconne wurde im 19. Jahrhundert von dem berühmten Geiger F. David entdeckt. Seither zählt sie zur großen Virtuosenliteratur. Die Komposition beruht auf einer simpel erscheinenden Tonfolge von nur vier langen Tönen. Aus der ständigen Wiederholung dieser Baßformel ergeben sich 58 Variationsabschnitte; im ersten und im dritten Teil wird der Baß kaum verändert. Doch dem Hörer dürfte dieses Gleichmaß kaum bewußt werden, denn alle damals üblichen Figurationstechniken werden in der Geigenstimme so eingesetzt, daß eine große Mannigfaltigkeit in der Melodie entsteht. Zudem werden unerwartete harmonische Wege beschritten, im Mittelteil wird bis nach es-moll moduliert. Diese harmonischen Kühnheiten führten dazu, daß man auch originale Wendungen anfangs für eine Bearbeitung des Herausgebers im Sinne der Musik des 19. Jahrhunderts gehalten hat.


Dietrich Buxtehude, der im Mai vor 300 Jahren gestorben ist, ist vor Bach der bedeutendste Orgelmeister in Norddeutschland. Seine fantasiereichen freien Orgelwerke sind mit Präludium und Fuge eigentlich nicht richtig bezeichnet, denn sie bestehen aus mehreren kontrastierenden Abschnitten. Der dritte und der vierte Abschnitt der Komposition in fis-moll sind in der Fugentechnik gearbeitet, die anderen bestehen aus Akkordfolgen oder bewegten Figurationen; in der Mitte ist eine Partie in der Art eines freien rezitativischen Gesanges.


Für seine expressive musikalische Rhetorik mit weit entlegenen Harmonien verlangt Buxtehude eine Orgel in der neuen „wohltemperierten Stimmung“, zudem rechnet er mit deutlich wechselnden charakteristischen Registrierungen. Dadurch entsteht in diesem Werk ein Klangkaleidoskop von ernster und herber Schönheit.



Zu Bachs Zeit gab es schon eine längere Tradition, der Geige, die eigentlich ein einstimmiges Instrument ist, dennoch mehrere Stimmen anzuvertrauen. Denn bei geschickter Anlage lassen sich durch Doppelgriffe auch zwei Stimmen darstellen; wenn aber durch Arpeggieren drei oder mehr Töne jeweils zu Akkorden zusammengefaßt werden sollen, muß der Spieler die Töne so darstellen, daß der Zuhörer die stimmführungsmäßige Verbindung der aufgebrochenen Akkorde in seinem Gehör ergänzen kann. – Bach stellt in seinen drei Sonaten und drei Partiten an den Ausführenden bis dahin nie gekannte Anforderungen, dennoch stehen die spieltechnischen Schwierigkeiten nicht im Dienste äußerer Virtuosität, sie scheinen vielmehr unumgänglich zur Darstellung der weitgespannten musikalischen Ideen.


In der Partita in h-moll erscheinen die vier Sätze in jeweils zweierlei Gestalt. Nach der ersten Darstellung, die den Charakter intensiv in eher polyphoner Art vorstellt, bietet Bach anschließend im jeweiligen Double in einstimmiger aber schnellerer Figuration eine Variante. Es wirkt fast so, als würde Bach sich selbst kommentieren. Deshalb wird in der heutigen Aufführung der ungewöhnliche und dennoch naheliegende Weg beschritten, daß die beiden Geiger sich abwechseln im Sinne einer stärker konstruierten Erstfassung und eines gefälligeren Kommentars.


Die Allemande bildet das weit ausgreifende Präludium. Durch Akkordbrechungen und durch das Aufteilen der rhythmisch ungemein differenzierten Melodie auf verschiedene Lagen wird dem Hörer ein vierstimmiger Satz suggeriert. Im anschließenden Double zeigt Bach, wie er den Inhalt auch in eine leichtere und gefälligere Form bringen kann. Die Courante ist lebhafter, die gleichmäßige Achtelbewegung erhält durch unterschiedliche melodische Wendepunkte Abwechslung und zugleich Ansätze zu virtueller Mehrstimmigkeit. Das Double steigert das Tempo und die Bewegungsintensität. In der gravitätischen Sarabande entsteht für den Zuhörer aus den Akkordbrechungen und Doppelgriffen ein polyphoner, teilweise real vierstimmiger Satz. Das einstimmige Double dazu löst die vorherige Schwere des Satzes beinahe auf, ohne daß der Charakter grundsätzlich verlassen wird. Polyphone Gestaltung und geigerische Spielfiguren werden im schnellen letzten Satz Tempo di Bourrée zur Einheit geführt und im Double in virtuose Brillanz aufgelöst.


Das Intermezzo von Max Reger soll in diesem Programm eine Insel der Ruhe schaffen. Gleichwohl hat die lyrische Komposition ihren eigenen Reiz in der Ausgewogenheit von fließender Melodie und weiter Harmonik.


Josef Rheinberger ist sechs Jahre jünger als Brahms, er wurde in seiner Zeit zu den wichtigsten deutschen Komponisten gezählt; heute ist hauptsächlich seine Kirchenmusik wieder geschätzt. Dabei hatte er nahezu alle Bereiche der Musik mit Werken bestellt, vom schlichten Klavierlied bis zur Oper. Von den zahlreichen Orgelwerken werden die 20 Sonaten, die damals in Konzertsaal und Kirche viel erklungen sind, auch heute wieder aufgeführt. Als Kirchenkomponist hat er gegenüber einem Historismus, mit dem der Caecilianismus die Ausdrucksweite der Kirchenmusik beschränken wollte, eine zeitgenössische Kompositionsrichtung vertreten und selbst in Werken einfacher Faktur eine differenzierte Harmonik genutzt.


Thema mit Veränderungen ist eine lyrische Komposition. Der Geige wird all der melodische Schmelz zugestanden, der sich noch mit dem so viel starreren Ton der Orgel vertragen kann. Anfangs kann man die Variationen einzeln abzählen. Doch mit der Zeit entstehen daraus größere Einheiten, formal und emotional.


Max Reger hat sich in den verschiedensten Kompositionsbereichen – mit Ausnahme der Oper hat er alle Gattungen der Tonkunst bearbeitet – immer wieder barocker Formen und Satztechniken bedient, beson­ders in der Orgelmusik. Sie bedeuten aber nur scheinbar eine Rückwen­dung. Denn trotz der Anlehnung an alte Vorbilder atmen die Komposi­tionen den Geist der expressiven Musik der Jahrhundertwende. Dem vom Wesen her statischen Orgelklang wird eine flexible Dynamik abgetrotzt, weniger durch vielfache Registerwechsel – derartiges stößt vor allem bei kleinen Orgeln schnell an Grenzen – als dadurch, daß sich der Ein­druck der Lautstärkenänderung aus der wechselnden Dichte des Satzes und aus der harmonischen Entwicklung ergibt. Dem muß eine flexible agogische Spielweise entsprechen, d.h. die Bindung an ein starres metronomisch geregeltes Tempo wird weitgehend aufgegeben.


Reger hat sein letztes großes Orgelwerk, Fantasie und Fuge in d-moll „Meister Richard Strauß in besonderer Verehrung“ gewidmet. Seine Widmungen pflegte Reger durchaus mit Bedacht auszusprechen, und wenn er dem führenden Komponisten der Oper und der symphonischen Dichtung nun ein Orgelwerk zueignet, so ist damit programmatisch ausgedrückt, daß er die Orgel keineswegs mehr im Schatten der bedeutenden Musikentwick­lung seiner Zeit stehen sieht.


Auch wenn der erste Teil des Werkes Fantasie heißt, also auf eine freie Form hinweist, liegt ihm doch eine überschaubare Gliederung zugrunde:


I Anfangsteil: a) zweiteilig, lauter Abschluß auf der Tonika

b) dreiteilig, leiser Abschluß auf der Tonika


II Presto : vorwiegend einstimmige Figuration

Adagio: Abschluß leise, harmonisch offen


III Entwicklung: erst in kurzen kontrastreichen Phrasen, dann in lauter

kräftiger Steigerung, aber: – plötzlicher Abbruch


IV Ansatz zu verkürzter Reprise – dann mit zwei Läufen Übergang in die


V Coda


Die Fuge beginnt langsam mit einem Thema von starken Intervallspannungen.




Obwohl das Thema fast ständig anwesend ist, vielfach sogar in der jeweils obersten Stimme, hört man keineswegs eine Variationsfolge über diese Melodie, sondern eine Entwicklung, die jeweils in den thematischen Bogen eingehüllt ist. Der zweite Teil hat ein eigenes kontrastierendes Thema,


spielerisch - kapriziös. Im letzten Teil werden beide Themen kombiniert; starke harmonische Spannungen und gewichtige Akkordballungen führen zum Schluß.

In vielen Fugen erhöht Reger die Spannung auch durch eine Tempobeschleunigung, hier verfährt er umgekehrt; bei zunehmender Lautstärke wird die Harmoniefolge immer dichter. So konzentriert er bei Verbreiterung des Tempos die Kraft auf das Ende hin.

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