BÜCHERKISTE

Peter Pohl & Kinna Gieth – "Du fehlst mir, du fehlst mir!"

Als ich ungefähr in der neunten Klasse war, ging bei uns (hauptsächlich unter den Mädchen) ein Autor herum, dessen Bücher uns schwer beeindruckt und getroffen haben. Bis heute bin ich Fan von Peter Pohl, der 1940 in Deutschland geboren und dann kurz nach Kriegsende mit seiner Familie nach Schweden emigriert ist, wo er immer noch lebt.

Das Buch, über das ich heute schreiben will, "Du fehlst mir, du fehlst mir!", ist die wahre Geschichte eines Mädchens (Kinna Gieth), das kurz vor ihrem 14. Geburtstag ihre Zwillingsschwester durch einen Autounfall verliert. Es wird von Tina erzählt, die alleine zurückbleibt und ihr Leben ohne ihre Zwillingsschwester Cilla meistern muss und davon, wie sie sich mit dem schweren Verlust auseinandersetzt und wie sie es schließlich schafft, damit umzugehen.

Ich habe dieses Buch mehr als einmal gelesen und es hat mich jedes Mal aufs Neue zutiefst berührt. Nicht nur die Tatsache, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, sondern auch Peter Pohls Sensibilität, seine geschickte Umsetzung des Themas und die von der ersten bis zur letzten Seite anhaltende Atemlosigkeit haben mich mitgerissen. Ich konnte mich mit den Personen identifizieren, ihre Trauer nach- und mitempfinden ich kenne kaum einen Autor, der mich mehr zu Tränen gerührt hat und so genau den Nerv meiner Gefühle getroffen hat wie dieser. Das ist es wohl auch, was Literatur ausmacht: Sie muss die Menschheit bewegen und man muss sich in ihr wiederfinden können, um sie zu verstehen.

Empfehlen würde ich jedem das Buch, der eine auf sprachlichem Niveau einfache, aber dafür um so emotional anrührendere, traurig-schöne Geschichte lesen möchte, die einen von Anfang bis Ende fesselt.

Nun noch eine Leseprobe, viel Spaß dabei!

Cosima Kießling

"Cillas Unfall ist das Grauenhafteste, was ich je erlebt habe, und ich erzähle es lieber gleich, dies soll nämlich keine spannende Story mit einem effektvollen Schluß sein, der so lange wie möglich geheimgehalten werden muß, sondern ein Bericht über Tina, die übrigblieb und versuchen mußte, in einem Leben ohne Cilla aufrecht zu stehen und das Gleichgewicht zu halten. Und diejenige, die dies erzählt, bin ich, Tina, aber ich weiß, daß ich es nicht schaffen werde, ,ich‘ zu sagen, wenn ich erzähle, daher sage ich lieber ,sie‘."

(S. 7)

"Tina muß erzählen, wie es sich abgespielt hat, wie es passiert ist. Sie erzählt, immer wieder erzählt sie, immer ist da ein Neuankömmling, der es noch nicht gehört hat, oder jemand, der es gehört hat, es aber noch einmal hören will – wird es dieselbe Geschichte werden, oder wird Tina sie nach und nach verändern? Aber Tina hat ein Band, das läuft und läuft und sich nicht verändert. Zwischen den Wiederholungen unterhält sie sich fieberhaft und munter, tröstet Freundinnen und singt zur Musik, die spielt und spielt.

,Du bist so normal, Tina‘, sagt Maja Sjöwall plötzlich. ,Man merkt dir gar nicht an, daß Cilla gestorben ist.‘

Tina stutzt, hält mitten in der Rede inne und sieht Maja an.

,Ist Cilla tot?‘

Alle haben es begriffen, alle bis auf Tina."

(S. 80 f.)

(Peter Pohl & Kinna Gieth: "Du fehlst mir, du fehlst mir!" Carl Hanser Verlag, München und Wien 1994.)

 

 

 

  

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