Guy de Maupassant - "Le Horla"

Da ich ja momentan zum Studieren in Frankreich bin, moechte ich meine Begeisterung fuer Land und Kultur teilen, indem es nun in den naechsten Monaten eine franzoesische Reihe der Buecherkiste geben wird. Ich werde mich in die franzoesische Literatur einarbeiten und hoffe, dass es mir moeglich ist, jeden Monat ein franzoesisches Buch zu besprechen.

Guy de Maupassant, einer der bedeutenden franzoesischen Schriftsteller,1850 geboren und 1893 gestorben, literarisch-mentaler Sohn von Gustave Flaubert, hat neben seinen grossen Romanen ("Bel-Ami', "Une vie"...) viele Novellen und Kurzgeschichten geschrieben, von denen einige unter dem Titel "Le Horla" gesammelt sind.

Dieses Buch besteht aus 14 kleineren Novellen, die alle sehr schnell und gut zu lesen sind. Es geht um Menschen, die in irgendeiner Form ihren Verstand verlieren, um die Liebe oder um Armut und Not, es handelt sich teilweise um schaurige, gruselige, aber auch anrueherend schoene Geschichten. Ich werde jetzt nur ueber diejenige sprechen, nach der das Buch benannt ist und die man gleich an seinem Anfang finden kann.

Es geht um die Tagebucheintraege (vom 8. Mai bis zum 10. September ohne Jahreszahl) eines Mannes, der meint, von einem unsichtbaren Wesen umgeben zu sein, das er Le Horla tauft. Er beschreibt sehr genau, dass er jede Nacht das Gefuehl hat, dieser Horla wuerde auf ihm liegen und versuchen, ihm das Leben aus seinem Mund zu ziehen, er ist besessen von der Idee, verfolgt zu werden. Er fasst den Entschluss, den Horla zu toeten und lauert auf dessen Unachtsamkeit, in seinem Wahn steckt er eines Tages sein eigenes Haus, in dem er ihn gefangen glaubt, mitsamt seinen Dienstboten in Brand und als er bemerkt, dass sein Plan gescheitert ist, gesteht er, dass ihm nur noch die Moeglichkeit bleibt, sich selbst zu toeten, um sich von diesem Geist zu befreien.

So absurd und vielleicht sogar banal der Inhalt sich zunaechst anhoeren mag, umso beeindruckender ist es jedoch, was Maupassant aus diesem Stoff hervorzaubert, wie er es schafft, den Leser in seinen Bann zu ziehen, wie er einen Charakter zeichnet, der reflektiert und vernuenftig erscheint und trotzdem meint, durch ein unsichtbares Wesen seiner Existenz beraubt zu werden. Man bekommt nicht etwa Mitleid mit einem armen Irren, sondern man beginnt, sich mit ihm zu fuerchten und die Anwesenheit dieses Horla zu spueren...

Stilistisch klar und dennoch von einer wunderschoenen ueberzeugenden Einfachheit besticht Maupassant mit gut durchdachten, bizarren Geschichten, die spannend und voller kleiner Weisheiten sind.

Ich persoenlich finde es besonders faszinierend, wie sensibel Guy de Maupassant es schafft, sich in verschiedenste Personen hineinzuversetzen und aus ihren Perspektiven zu erzaehlen - er denkt fuer seine Zeit aeusserst modern und schafft es auch, Gefuehle und das Innenleben von Frauen (die zur damaligen Zeit ja noch eine ganz andere Stellung in der Gesellschaft besassen) beeindruckend darzustellen.

Nun noch eine kleine Kostprobe, viel Spass beim Lesen und viele Gruesse aus Aix-en-Provence,

Cosima Kiessling

"19 août. - Je sais... je sais... je sais tout! Je viens de lire ceci dans la 'Revue du Monde scientifique': 'Une nouvelle assez curieuse nous arrive de Rio de Janeiro. Une folie, une épidémie de folie, comparable aux démences contagieuses qui atteignirent les peuples d'Europe au moyen age, sévit en ce moment dans la province de San-Paulo. Les habitants éperdus quittent leurs maisons, désertent leurs villages, abandonnent leurs cultures, se disant poursuivis, possédés, gouvernés comme un bétail humain par des êtres invisibles bien que tangibles, des sortes de vampires qui se nourrissent de leur vie, pendant leur sommeil, et qui boivent en outre de l'eau et du lait sans paraître toucher à aucun autre aliment.

'M. le professeur Don Pedro Henriquez, accompagné de plusieurs savants médecins, est parti pour la province de San-Paulo, afin d'étudier sur place les origines et les manifestations de cette surprenante folie, et de proposer à l'Empereur les mesures qui lui paraîtront le plus propres à rappeler à la raison ces populations en délire.'

Ah! Ah! je me rappelle, je me rappelle le beau trois-mâts brésilien qui passa sous mes fenêtres en remontant la Seine, le 8 mai dernier! Je le trouvais si joli, si blanc, si gai! L'Etre était dessus, venant de là-bas, où sa race est née! Et il m'a vu! Il a vu ma demeure blanche aussi; et il a sauté du navire sur la rive. Oh! mon Dieu!"

(Guy de Maupassant: "Le Horla". Livre de Poche, Paris. Seite 42 f.)

 

 

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