Der Heilige des Monats
Thomas Becket (29. Dezember)

Wer war der Mörder?

Diese Frage, mit der wir heutzutage bis zum Überdruss zur Unterhaltung in Groschenromanen und Fernsehkrimis konfrontiert werden, ist im Falle dieses Heiligen Teil einer erregenden Geschichte. Diese schlägt die Menschen so in ihren Bann, dass auch noch über 800 Jahre nach den Geschehnissen bekannte Dramatiker den "Stoff" aufgreifen: Der amerikanische Literaturnobelpreisträger (1948) Thomas St. Eliot verfasste das Theaterstück "Mord im Dom" und der französische Schriftsteller Jean Anouilh 1959 das Drama "Becket oder die Ehre Gottes". Über die unmittelbare Wirkungsgeschichte von Beckets Tod urteilt Hanna Vollrath (in ihrem Buch "Thomas Becket – Höfling und Heiliger"): "Über Thomas Becket ist von seinen Zeitgenossen mehr erzählt und geschrieben worden als über irgendeinen anderen Menschen des frühen Mittelalters."

Der Mord an Becket muss also mehr als nur ein Verbrechen gewesen sein, von dessen Art es zu dieser Zeit nicht wenige gab. Dahinter verbirgt sich ein menschlicher Urkonflikt, der folgendermaßen seinen Lauf nahm:

Thomas kam im Jahr 1118 in London als Sohn eines eingewanderten normannischen Kaufmannsehepaares zur Welt. Nach einer hervorragenden Ausbildung in Paris, Bologna und Auxerre fiel er Theobald, dem Erzbischof von Canterbury auf, der ihn zum Archidiakon ernannte. Über diese Stellung gelangte er in höfische Kreise und wurde schließlich der enge Freund und Vertraute des fast gleichaltrigen Königs Heinrich II.

Dieser stammt aus dem französischen Adelsgeschlecht der Plantagenets und herrscht über England und große Teile West- und Nordfrankreichs. Gegenüber der Kirche zielt seine Politik darauf ab, die wirtschaftliche, juristische und gesellschaftliche Macht des hohen Klerus zum eigenen Vorteil zurückzudrängen. Er vertraut dabei auf die Fähigkeiten seines Freundes Thomas so sehr, dass er ihn 1155 zum Lordkanzler beruft. Thomas teilt nicht nur seine politischen Absichten, sondern auch sein höfisches Leben mit allem Luxus und allen Ausschweifungen. Selbst der Ruf seines geistlichen Herrn Theobald zurück nach Canterbury bewegt Thomas nicht von der Seite seines Freundes Heinrich. Dieser ergreift nach dem Tode Theobalds die Gelegenheit und ernennt seinen Kanzler Thomas zusätzlich zum Erzbischof von Canterbury und damit zum Primas von England, natürlich in der Hoffnung, sein Freund werde seinen Einfluss in der Kirche entscheidend stärken.

Doch es kam anders.

Thomas nahm die Ernennung nur widerwillig an, weil er ahnte, dass eine kirchliche Berufung ihn in einen Gegensatz zu seinem königlichen Freund bringen werde. Er wusste, dass er eine klare Entscheidung zu treffen hatte. Von einem Tag auf den anderen wechselte er mit aller Konsequenz auf die Seite der Kirche. Er kündigte seine Stellung als Kanzler auf, änderte seinen Lebenswandel radikal, verteilte sein Vermögen an die Armen und führte das asketische Leben eines Mönchs. Hatte er vielleicht das Beispiel von Augustinus vor Augen, der seinem Bischofsamt plötzlich alles, auch seine menschlichen Bindungen, hintanstellte?

Rasch bahnte sich der Konflikt mit dem König an. Vordergründig ging es um die Frage, wem die Rechtsprechung über straffällige Kleriker zukomme, der weltlichen oder geistlichen Macht. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Gewalten berührte das damalige Weltverständnis und zog sich in unterschiedlichen Ausprägungen durch das europäische Mittelalter. Thomas und Heinrich verkörperten nun diese konflikthaften Gegenpole.

Der König reagierte ebenso konsequent wie Thomas, vergaß die alte Freundschaft und überzog Thomas mit Prozessen, hetzte seine klerikalen Günstlinge gegen ihn auf, beraubte ihn seines Besitzes, bis Thomas 1164 nach Frankreich floh. Die Legende erzählt von seiner Flucht, wie seine Verfolger mit dem von Thomas abgehauenen Pferdeschwanz in den Händen zurückblieben. Es muß also sehr knapp gewesen sein.

Um seinen Rücktritt als Erzbischof zu erklären, begibt er sich zu Papst Alexander III. Dieser lehnt kurzerhand ab, so daß Thomas sechs Jahre im französischen Exil blieb, bis sich die Gelegenheit zur Versöhnung mit Heinrich bot. Dieser umarmte seinen ehemaligen Freund zwar, verweigerte ihm jedoch den Friedenskuss. Thomas muss von diesem Augenblick an klar gewesen sein, dass sich eine Auseinandersetzung bis zum Letzten nicht mehr vermeiden ließ, und handelte zügig. Er exkommunizierte zwei königstreue Bischöfe, was Heinrich zu einem Wutausbruch veranlasste. Dabei soll er den entscheidenden Ausruf getan haben: "Gibt es unter meinen unnützen Dienern denn keinen, der mich von diesem aufdringlichen Pfaffen befreit?"

Ist dies ein Mordbefehl? Vier Ritter verstanden es offensichtlich so und machten sich auf den Weg nach Canterbury, wo sie Thomas am 29. Dezember 1170 in der Kathedrale auf den Altarstufen vorfanden, zur Rede stellten und nach einem kurzen Disput mit mehreren brutalen Schwerthieben in den Kopf umbrachten. "Ich bin bereit, für den Namen Jesu und die Verteidigung der Kirche zu sterben!" sollen seine letzten Worte gewesen sein.

Er wurde sofort nach seinem Tod vom Volk als Heiliger verehrt, der Papst sprach ihn bereits nach drei Jahren heilig und nannte ihn "einen Märtyrer für das Recht und die Freiheit der Kirche". An der moralischen Macht des Heiligen und der Kirche kam auch der König nicht vorbei und tat am Grabe in der Kathedrale Buße, indem er sich öffentlich geißeln ließ.

Canterbury entwickelte sich bald zum bedeutendsten Wallfahrtsort nördlich der Alpen, und der standhafte Bischof wurde in ganz Europa verehrt.

Die älteste Darstellung von Thomas Becket findet sich in den Mosaiken des Domes im sizilianischen Monreale (bereits 1182), auch die berühmten Kirchenfenster von Chartres (1206) nehmen sein Gedenken auf. In vielen Kirchen existieren Zyklen mit Szenen aus dem bewegten Leben des Bischofs sowie Reliquiare, die fast immer den Augenblick der Ermordung festhalten.

Der Schatten des berühmten Heiligen war so lang, dass er sogar noch auf den englischen König Heinrich VIII. fiel, der sich die Macht wie sein Vorgänger Heinrich II. anmaßte und sich schließlich im Zuge der Reformation von der katholischen Kirche lossagte. Er ließ 1538 den kostbaren Thomas-Schrein zerstören, die Gebeine angeblich verbrennen und die Asche zerstreuen. Seine Macht war nun so gefestigt, dass er im Streit mit Rom um seine illegitime Ehe seinen widerspenstigen Kanzler öffentlich auf dem Schafott hinrichten lassen konnte – den hl. Thomas Morus.

Thomas Becket ist der Patron Englands, seine Attribute sind Palme, Schwert, Bischofsstab und Pallium.

J. Schweier

 

 

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