Thomas Steierhoffer
 Nr. 12/00 vom 19. März 2000

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Den Weg nach Europa mutig weitergehen

Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel, sprach trotz gespannter Lage
in seiner Partei im „Forum Theresienschule“


Berlin - Misstrauische Zungen konnten sich im Vorfeld des vierten „Forums Theresienschule“ die Frage nicht verkneifen: „Ob er wohl kommen wird?“ „Muss der denn angesichts von Spendendschungel und Führungsstreit innerhalb der CDU keine bedeutenderen Aufgaben angehen?“ war zu hören. Doch spätestens beim Anblick der dicken Daimler-Limousine mit Erfurter Kennzeichen, die auf dem Schulhof der Thersienschule geparkt war, wurden vermeintliche Zweifel zerstreut. Er war tatsächlich angereist. Den bereits im Dezember 1999 zugesagten Termin in der Katholischen Theresienschule wollte sich der Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel (CDU), nach eigenen Worten nicht entgehen lassen. Er sei „ein Freund der Privatschulen“, bekannte Vogel am vergangenen Montag in der dicht gefüllten Aula des katholischen Gymnasiums in Berlin-Weißensee. Und er präzisierte seine Aussage: „Ich bin ein Freund kirchlicher Privatschulen. Aber nur dann, wenn diese Schulen ein anderes Profil entwickeln als die staatlichen Schulen.“ In einem freien Staat, so Vogel weiter, müsse die Kirche den Mut aufbringen, „staatlichen Schulen Konkurrenz zu machen“. Dass dies an der Theresienschule auch und gerade über die Jahrzehnte der SED-Diktatur der Fall war, und dass hier heute - unter neuen Vorzeichen - eine „eigenständige Pädagogik“ gemacht werde, freue ihn außerordentlich, bemerkte der Politiker strahlenden Gesichts.
Die Zuhörerinnen und Zuhörer - unter ihnen auch Schulamtsleiter im Erzbischöflichen Ordinariat Hans-Peter Richter und Schulpfarrer Ulrich Bonin - waren so zahlreich erschienen, dass selbst die in einer Ecke bereitgehaltenen Reserve-Stühle nicht ausreichten. Und so musste ein guter Teil der Zuhörerschaft dem Vortrag Vogels stehend lauschen.
Der Ministerpräsident referierte über Europa unter dem Thema: „Europa - aber wo liegt es?“ Vogel rief die junge Generation auf, den eingeschlagenen europäischen Weg mutig weiterzugehen. Gerade in den neuen Bundesländern dürfe der Blick auf die osteuropäischen Nachbarn nicht ermüden. Zwar sei Europa geographisch einigermaßen klar abgrenzbar. Vom Nordkap bis Sizilien, vom Atlantik bis zum Ural. Doch angesichts massiver globaler Veränderungen genüge diese Aussage den Anforderungen der Zeit in keiner Weise. Nach Vogels Worten müsse das Bewusstsein geschärft werden, alle demokratischen Staaten innerhalb der geographisch markierten Grenzen gehörten zu Europa. Und dies seien weitaus mehr Länder als die bislang 15 Mitglieder der Europäischen Union (EU), die Vogel als dringend veränderungs- und ausbauwürdiges politisches Gebilde charakterisierte. „Die neuen Bundesländer haben heute eine Brü-ckenfunktion nach Osten. Ja, sie sind prädestiniert, den Brückenschlag nach Osteuropa zu vollziehen“, rief der Ministerpräsident seinem Auditorium zu. In dieser für das zukünftige Europa bedeutsamen Ausgangsposition komme den Menschen in Ostdeutschland ihre Kenntnis der slawischen Sprachen, insbesondere des Russischen, zugute. Vogel sehe darin eine Chance, die vergleichbar sei mit der Chance westdeutscher Länder nach dem Zweiten Weltkrieg. Von hier sei die Versöhnung mit den französischen Nachbarn vorangetrieben worden. „Die Kenntnis der französischen Sprache war damals Voraussetzung.“ Angesichts des massiven Wohlstandsgefälles zwischen europäischen Nachbarn diesseits und jenseits der Oder-Neiße-Grenze werde das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas sicher noch geraume Zeit benötigen. Doch komme es heute darauf an, die Hoffnungen und Erwartungen der Menschen in Polen, Tschechien, Ungarn oder Slowenien nicht zu enttäuschen. Er freue sich, so Vogel, dass nach einer Phase der „verständlichen Zurückhaltung“ jetzt auch wieder Russisch als Fremdsprache an der Katholischen Theresienschule angeboten werde.

 

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