Konrad Graf von Preysing - ein Anwalt des Rechts

Zu einem Buch von Prälat Wolfgang Knauft, das jetzt im Morus-Verlag erschienen ist und die Verdienste des früheren Berliner Bischofs zum Teil mit neuen Schriftquellen und Zeitzeugen würdigt

Berlin - Warum schreien die Leute so?“ fragte der neue Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing am 8. September 1935 seine Begleitung. Die stürmischen Begrüßungsrufe seiner Diözesanen anläßlich der weltlichen Begrüßungsfeier im Berliner Sportpalast hatte der aus dem beschaulichen Eichstäff in die Reichshauptstadt gewechselte neue Oberhirte nicht erwartet und auch nur wenig geschätzt. Mit zusammengepreßten Lippen nahm er Platz und lauschte dem rhetorisch brillanten Willkommen von Professor Emil Dovifat. Prompt erhielt er den Spitznamen „Marmorbischof’. Er war ein Mann der leisen Töne, und so war in seinem Redebeitrag nicht vom Triumph der Stunde, sondern von den Aufgaben, der Vorbildhaftigkeit bischöflichen Wirkens die Rede, die „wenn es sein muß, im Opfer für den Glauben“ geschehe. Knauft schließt die Beschreibung dieser Begegnung unterschiedlicher Mentalitäten: „Der Beifall am Ende der Ansprache machte Preysing fast etwas verlegen. Statt spontan zu winken, verbeugte er sich vor den Berlinern, was den Beifall noch steigerte, aber auch Heiterkeit erzeugte.“
Die Schilderung dieser Episode ist Teil der vom Berliner Domkapitular Wolfgang Knauft verfaßten großen Biographie des bayerischen Aristokraten, der dem Berliner Bistum in seiner dunkelsten Zeit vorstand und zum ersten Berliner Kardinal ernannt wurde. Der Autor, der zeitweise als Redakteur des „Petrusblattes“ wirkte und in den letzten Jahren vor allem mit zeit- und bistumsgeschichtlichen Publikationen hervortrat, hat hier journalistische Darstellungsweise und wissenschaftliche Sorgfalt miteinander verbunden. Für seine Arbeit konnte er einige erst nach der Wende allgemein zugängliche Schriftquellen heranziehen wie auch noch letzte Zeitzeugen befragen. So ist zugleich ein gewichtiger Baustein zur bisher ungeschriebenen Geschichte des Berliner Bistums entstanden.
Durch die Auswertung des intensiv gepflegten Briefwechsels mit persönlichen Freunden und Verwandten - hier ist besonders der Schriftsteller Paul Graf von Thun zu nennen - war es zudem möglich, die Persönlichkeit und Empfindungswelt des äußerlich verschlossenen Bischofs in die Darstellung einzubeziehen.
Vielleicht war es die persönliche Sprödigkeit, die bisher eine umfassende Würdigung der über die Berliner Bistumsgrenzen weit hinausgehenden Bedeutung Preysings verhindert hat. So werden oft andere Namen genannt, wenn es um den Widerstand katholischer Bischöfe gegen den nationalsozialistischen Staat geht. Preysing lag die Spontaneität, mit der sein Vetter Clemens August Graf Galen in Münster 1941 den Kampf gegen die Euthanasie auffiahm, fern. Doch besaß Preysing andere Vorzüge: ein unbestechliches Urteilsvermögen und Konsequenz im langfristig angelegten Handeln. Das „principiis obsta“, den Anfangen wehren, gehört, wie Knauft betont, zu Preysings Grundsätzen.
An Auseinandersetzungen mit braunen und roten Diktaturen war 1880, als der spätere Bischof standesgemäß auf einem bayerischen Schloß geboren wurde, noch nicht zu denken. Dem begabten jungen Mann, stand nach erfolgreich abgeschlossenem Jurastudium eine Karriere im diplomatischen Dienst offen. Doch entschied er sich für das Priestertum. Als Sekretär des Münchener Erzbischofs Bettinger lernte er die Führung einer großen deutschen Diözese kennen und nahm an dessen Kardinalsernennung und der Papstwahl von 1914 teil. Auch nach dem Tod Bettingers waren Preysings diplomatische Fähigkeiten gefragt. 1920 begleitete er den in der bayerischen Hauptstadt residierenden Apostolischen Nuntius Pacelli auf einer Dienstreise nach Berlin.
Am 1. März 1935 war der zweite Berliner Bischof Dr. Nikolaus Bares verstorben. Als Nachfolger favorisierte die Kurie den 1932 zum Bischof von Eichstätt geweihten Preysing, der bei den Berliner staatlichen Stellen kaum bekannt war. Zwar gab es
Bedenken aus Kreisen der NSDAP gegen die Translation des Eichstätter Oberhirten Preysing auf das Bischofsamt im Machtzentrum des nationalsozialistischen Staates, wie Knauft aus neuen Quellen nachweisen kann. Doch konnten sie das durch das Konkordat vorgeschriebene Ernennungsverfahren nicht mehr beeinflussen.
Gehorsam, nicht Neigung hatten Preysing nach Berlin geführt. In der vom greisen Breslauer Kardinal Bertram dominierten Fuldaer Bischofskonferenz hatte Preysing als Bischof der Reichshauptstadt nun eine exponierte Position inne, die zu Konflikten mit Bertram führen mußte. 1940, nach dem Geburtstagstelegramm Bertrams an Hitler, hegte Preysing konkrete Rücktrittsabsichten. Zuvor hatten die die jüngeren Mitglieder des Episkopats, Preysing und Galen, gegen den Willen Bertrams zu den fünf Bischöfen, die von Papst Pins XI. zur Berichterstattung über die Lage der Kirche im nationalsozialistischen Staat geladen wurden, gehört. Die Berichte flossen in die päpstliche Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (1937) ein, in der die nationalsozialistische Kirchenpolitik grundsätzlich verurteilt wurde. Als Reaktion wurde die schrittweise Umwandlung der konfessionellen Schulen in Gemeinschaftsschulen angeordnet. Preysing machte auch diese Aktion im Hirtenbrief öffentlich.
Als Leiter des Pressereferats der Fuldaer Bischofskonferenz galt den Zeitungen seine besondere Aufmerksamkeit, die Knauft mit kollegialem Sinn vor dem Leser ausbreitet. Auf die antikirchlichen Kampagnen der NS-Presse ließ er scharfe Entgegnungen folgen. Als es 1938 zu einem dauernden Verbot der Berliner Kirchenzeitung kam, sorgte er durch einen Hirtenbrief dafür, daß alle Interessierten auch über diesen Vorgang informiert wurden.
Nicht nur die Persönlichkeit, auch die Zeitumstände erhalten in der Darstellung ihr Recht. Im Bistum Berlin ging der Ausbau der Seelsorgestellen kontinuierlich weiter. Es entstanden zahlreiche neue Kirchengemeinden. Ältere Leser und Zeitgenossen Preysings werden in dem Werk auf zahlreiche ihnen vertraute Namen stoßen.
Die dunkelste Zeit begann nach dem Kriegsausbruch. Oft hatte Preysing als Korrektiv zu den positiv gefärbten Berichten des päpstlichen Nuntius negative Nachrichten an den ihm vertrauten Papst Pius XII. mitzuteilen. Als 1943 im Bombenkrieg die Kathedrale zerstört wurde, verband Preysing die Mitteilung mit der Bitte, für die Deportierten einer neuen Welle von Judendeportationen einzutreten. Auch über die Verhaftung und Inhaftierung des Berliner Dompropstes Bernhard Lichtenberg, eine Aktion die zweifellos auch als Drohung gegen den Bischof aufgefaßt werden konnte, wurde Pins XII. eingehend informiert.
Preysing hatte Lichtenberg mehrfach im Gefängnis besucht. Auch die Inhaftierten des „Falles Stettin“, der von Knauft bereits an anderer Stelle intensiv behandelt worden war, wurden in ihren Haftorten, sei es das Miltärgefängnis in Torgau oder auch - wie hier zuerst berichtet - im Zuchthaus Gollnow, von ihrem Bischof aufgesucht. Die Bedeutung des „Ordensausschusses“, die bischöfliche Reaktion auf den „Kloster-sturm“ von 1940, ist erst in den letzten Jahren deutlicher geworden. Auch in diesem Kreis wurde Preysing bei der Vorbereitung des Hirtenbriefes zu den Menschenrechten führend tätig, der freilich nicht in allen deutschen Diözesen veröffentlicht wurde. In den Diözesen Berlin und der Erzdiözese Köln wurde im Advent 1942 ein Hirtenbrief über das Recht verlesen, der international, vor allem in den USA bis in den Kongreß hinein ein starkes Echo fand. Dies mußte auch die deutsche Abhörzentrale registrieren.
Ohne Sentimentalität überlegte Preysing nach der sowjetischen Eroberung Berlins, das verwüstete Bistum in seiner Gesamtheit aufzugeben und einer lebensfähigen Diözese anzuschließen. Doch blieben dies Gedankenspiele. Er stellte sich den neuen Aufgaben. Es gab jedoch auch neue Ehren, zu denen die Verleihung des Kardinalsranges noch im Jahr 1945 gehörten. Der USA-Besuch 1947 geriet zu einer großflächigen Spendensammlung.
Die 1945 wieder eingeführten Rechtsgrundsätze wurden von der politischen Führung in der SBZ/DDR mehr und mehr verlassen Ein besonderes Kampffeld war das Schulwesen, das nicht allein in der sowjetischen Besatzungszone, sondern auch in der Viersektorenstadt Berlin unter laizistischen Gesichtspunkten aufgebaut wurde. Allein in den nun wieder gegründeten konfessionellen Privatschulen schien ihm die umfassende christliche Erziehung möglich. Die Gründung des kircheneigenen MorusVerlages, der auch das „Petrusblatt“ herausgab, sollte die in der NS-Zeit lähmende Überschneidung privater und Kircheninteressen verhindern. Einer neuerlichen Politisierung des Klerus gedachte der Bischof durch die Bestimmung, daß nur die Gesamtheit der Bischöfe, nicht der einzelne Geistliche befugt sei, zu Zeitfragen Stellung zu nehmen, zu begegnen. Dies hat die Kirchenpolitik während der gesamten Zeit des Bestehens der DDR beeinflußt.
Der im amerikanischen Sektor von Berlin residierende Bischof wurde zum Zeugen, wie die Grenzen des Kalten Krieges mitten durch sein Bistum liefen. Mit dem ihm eigenen Realitätsinn hatte er bereits fruh die Grenzen an Oder und Neiße als dauerhaft gesehen.
1950 starb Preysing, viel betrauert von seinen Diözesanen, mit denen er durch schwere Zeiten gemeinsam geschritten war.
Der Kirchenhistoriker Ludwig Volk hatte gemeint, daß „Preysings Größe erst aus den Akten auferstehen“ würde. Knauft hat mit der vorliegenden, informativ illustrierten und mit einem umfangreichen Anhang versehenen Biographie dem großen Berliner Bischof ein Denkmal gesetzt.
Das flüssig geschriebene Buch dürfte für den kirchengeschichtlich Interessierten eine geeignete Weihnachtsgabe sein. 

Felix Escher
Nr. 49/98 vom 6. Dezember 1998