DDR-Funktionäre drohten mit Kirchenpolitik wie in der CSSR

Vor 50 Jahren wurde der Prager Erzbischof Josef Beran verhaftet

Prag/Berlin - Es läuteten keine Trauerglocken am 19. Juni 1949 in Prag. Trotzdem verbreitete sich an diesem schwülen Sommertag die Nachricht wie ein Lauffeuer: Kommunistische Krawallmacher haben das Pontifikalamt im Veitsdom auf den Hradschin gestört. Erzbischof Beran ist verhaftet und steht ab sofort unter Hausarrest. Noch einen Tag zuvor hatte er in der Abteikirche der Prämonstratenser in Strahow in einer Predigt die antikirchlichen Maßnahmen der Regierung kritisiert.
Seit der Februarrevolution 1948, dem Sturz der bürgerlichen Demokratie, steuerten die in die Schlüsselstellungen der Macht gelangten Kommunisten einen repressiven Kurs gegen die katholische Kirche in der Tschechoslowakei (CSSR). Die auflagenstärksten katholischen Publikationen wurden verboten, die katholischen Verlage und Schulen beschlagnahmt. Schmähartikel und böswillige Polemik in der staatlich gelenkten Presse vergifteten das öffentliche Klima. Der Vatikan wurde als Feind der CSSR beschimpft, der Apostolische Nuntius aus der Moldaumetropole ausgewiesen.
Diese aggressive Kirchenpolitik traf Christen, die manche historische Hypothek trugen. Die Frontstellung gegen den Reformator Jan Hus wirkte nach, nicht zuletzt durch die Tschechoslowakische Nationalkirche. In der Zeit des Josephinismus, der österreichischen Aufklärung, hatte die staatliche Bevormundung die eigenständige Lebenskraft der Kirche geschwächt. Nach dem unseligen „Münchener Abkommen“ 1938 und unter der deutschen Okkupation entwickelte sich besonders in der geistigen Oberschicht ein politischer Selbstbehauptungswille, der teilweise zu außergewöhnlichem Nationalismus führte. Das Verbrechen von Lidice, bei dem ein ganzes Dorf als Strafaktion für das Heydrich-Attentat dem Erdboden gleichgemacht wurde, förderte dieses Nationalbewußtsein ebenso wie die zahlreichen Verhaftungen innerhalb der Intelligenzschicht. Zu den Verhafteten gehörte auch Josef Beran (1880-1969), der damalige Regens des Priesterseminars, der nach seiner Rückkehr aus dem KZ Dachau im Jahre 1946 Erzbischof von Prag wurde. Ein ähnliches Schicksal hatte der Salesianer Stefan Trochta (1905-1974). Er überlebte das KZ Mauthausen und übernahm 1947 das nordböhmische Bistum Leitmeritz, nachdem der deutsche Bischof Weber zum Rücktritt gezwungen worden war. Schließlich hatte die Vertreibung des allergrößten Teiles der Deutschen zu einem schweren Substanzverlust in den Gemeinden geführt. Da auch über 1000 deutsche Seelsorger ihre Heimatbistümer verlassen mußten, war besonders in Böhmen ein pastorales Ruinenfeld entstanden.
Die Strategie des Prager Kirchenkampfes verlief zweigleisig. Zum einem sollten Rahmenbedingungen für die angestrebte faktische Religionslosigkeit geschaffen werden. Zum anderen sollten die Hirten geschlagen werden, um die Herde zu zerstreuen. Der „L‘ Osservatore Romano“ mußte am 24. Juli 1954 melden, in der CSSR seien 13 Diözesanbischöfe und Weihbischöfe amtsbehindert, fünf seien im Gefängnis, bei den anderen sei der „Aufenthaltsort unbekannt“. Nach sowjetischem Vorbild wurde im Oktober 1949 ein staatliches Kirchenamt eingerichtet, das das gesamte kirchliche Leben überwachen und steuern sollte. In der DDR wurde erst 1957 ein eigenes Staatssekretariat für Kirchenfragen ins Leben gerufen, das bis zur Wende eng mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet hat, aber nicht ganz so repressiv operierte wie die Funktionäre im „Goldenen Prag“.
Neue Gesetze engten das Selbstbestimmungsrecht der Kirche in der CSSR fast bis auf Null ein. Jede Übernahme oder Ausübung eines kirchlichen Amtes war an das Plazet des zuständigen kommunistischen Kirchensekretärs gebunden. Bischöfe und Generalvikare konnten keine wichtigen Entscheidungen an ihm vorbei treffen. Im Frühjahr 1950 setzte schlagartig der Sturm auf Klöster und klösterliche Niederlassungen ein. Die Klöster seien, so hieß es, „Zentren der Spionage und der Tätigkeit für den Vatikan“. Alle Ordensleute wurden in Konzentrationsklöster oder in „Umerziehungslager“ eingewiesen. Alle Orden sollten aussterben, daher war die Aufnahme neuer Mitglieder verboten. Im Vergleich zu den übrigen sozialistischen Staaten Osteuropas, ausgenommen die UdSSR, verfolgte die Prager Regierung die christlichen Kirchen mit der größten Unbarmherzigkeit und Brutalität. Es hat zu DDR-Zeiten immer wieder Hinweise gegeben, daß der kirchenpolitische Kurs in der CSSR langfristig Modellcharakter für die anderen Länder des Ostblocks haben sollte. Mitunter haben SED-Funktionäre gegenüber kirchlichen Gesprächspartnern ganz offen mit der Einführung tschechischer Verhältnisse für die Kirche gedroht. Allerdings wäre eine derartige Entscheidung mit Sicherheit in Moskau und nicht in Ostberlin getroffen worden.
Schon vor Berans Verhaftung hatte der Druck auf Welt- und Ordensgeistliche erheblich zugenommen. Viele wurden, oft wegen geringfügiger Übertretung der neuen Kirchengesetze, verhört, verhaftet, vor Gericht gestellt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Bischöfe und Äbte stellte man zumeist unter Hausarrest, ehe sie teilweise in Schauprozessen ihre „Untaten“ in erpreßten Geständnissen zugaben und verurteilt wurden. Bischof Trochta von Leitmeritz erhielt beispielsweise in einem spektakulären Schauprozeß eine Gefängnisstrafe von 25 Jahren. Die vom Vatikan vorgesehenen Notmaßnahme, durch geheim geweihte Bischöfe die hierarchische Organisation aufrechtzuerhalten, scheiterte. Fast alle Geweihten wurden enttarnt und vor Gericht gestellt. Bestenfalls konnten sie später ein Pfarramt übernehmen.
Eine zusätzliche Schwächung des kirchlichen Lebens bildete die staatlich geförderte Friedenspriesterbewegung. An die Spitze der neuen Bewegung trat der Vorsitzende der Christdemokratischen Volkspartei, der suspendierte Gesundheitsminister Plojhar. Manche mögen in der Folgezeit als Friedenspriester mitgearbeitet haben, um noch zu retten, was zu retten war. Andere mögen erpreßt worden sein oder übernahmen aus opportunistischen Gründen eine bloße Mitläuferrolle. Während auch Polen und Ungarn in der Kirchenpolitik auf politisch nützliche „Friedenspriester“ setzten, ist dieses unselige Instrument in der DDR nie zum Tragen gekommen, entscheidend begünstigt durch den Preysing-Erlaß 1947, der Klerikern jegliche politische Stellungnahme untersagte. Später gehörte die politische Abstinenz geradezu zur „Geschäftsgrundlage“ im Verhältnis DDR-Staat und katholische Kirche.
Als Entspannungsschritt im Verhältnis Staat-Kirche konnte die überraschende Teilnahme einiger Bischöfe am Konzil gewertet werden. Die Ernennung von Erzbischof Beran zum Kardinal und seine Ausreise nach Rom im Jahre 1965 schufen die Voraussetzung, daß der geheim geweihte Bischof Frantisek Tomasek (1899-1992) Administrator des Prager Erzbistums wurde. Auf seinen Schultern sollte die Hauptlast der Verantwortung für die Kirche in der CSSR während des „Prager Frühlings“ 1968 und danach bis zur „samtenen Revolution“ 1989 liegen.
Die Hoffnung auf uneingeschränkte Religionsfreiheit wurde nach der Invasion der Warschauer-Pakt-Mächte relativ bald zunichte. Der alte Repressionsapparat gewann unter Moskauer Druck wieder die Oberhand. Die ausnahmslos untergegangene Friedenspriesterbewegung wurde unter dem Namen „Pacem in terris“ erneut ins Leben gerufen. Die staatliche Reglementierung in Bistümern und Gemeinden setzte mit den alten Methoden wieder ein. Allerdings waren viele geistige Kräfte des „Prager Frühlings“ nur teilweise und bedingt zur Kapitulation bereit. Nicht wenige Priester und Laien setzten im Untergrund kirchliches Leben fort, hielten Exerzitienkurse und bereiteten Männer auf die Priesterweihe vor. Mehrere dieser berufstätigen Untergrund-Theologen haben der Krakauer Kardinal Woityla, Bischof Schaffran in Dresden, Bischof Aufderbeck in Erfurt sowie Kardinal Meisner und Weihbischof Weider in Berlin hinter verschlossenen Türen zu Priestern geweiht. Darüberhinaus stärkten unauffällige, persönliche Kontakte aus der Bundesrepublik Deutschland, aus Österreich und besonders aus der ehemaligen DDR den Glaubensweg der Christen in der CSSR.
Als sich das starre Machtgefüge des Ostblocks im Herbst 1989 durch „Glasnost“ und „Perestroika“ lockerte, kam auch in der CSSR ein Prozeß der Veränderung in Gang. Die Thesen der „Charta `77“, an der Christen wesentlich mit beteiligt waren, hatten die Lage vorbereitet. Die Kirche gewann durch die „samtene Revolution“ im Dezember 1989 schließlich inmitten einer total säkularisierten Gesellschaft jenen Freiraum zurück, der zugleich neue Herausforderungen stellte. Aus der Erfahrung des letzten Jahrzehnts ist allerdings deutlich geworden, daß die Kirche in Tschechien und der Slowakei diese Aufgaben schwerlich wird allein erfüllen können. Das Hilfswerk „Renovabis“ der deutschen Katholiken hat hier ein weites Betätigungsfeld.

Wolfgang Knauft
(C) by Wolfgang Knauft
Nr. 23/99 vom 13. Juni 1999