Hanna-Renate Laurien:

Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum. Lk 13,6 - 9.

(Der Text wurde vorgetragen in einem oekumenischen Gottesdienst am Buß- und Bettag 1998, der Gemeinden Dietrich-Bonhoeffer und Mater Dolorosa, beide Berlin Lankwitz .)

Lukas 13, 6 - 9: Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Weingärtner erwiderte: Herr, laß ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann laß ihn umhauen.

Wenn ich biblische Texte betrachte, schiebe ich manchmal alle Wissenschaft beiseite und schlüpfe in eine der Gestalten , dann in eine andere der Gestalten und gewinne so Zugänge recht verschiedener Art zum Text, aber auch zu mir selbst, zu meiner Glaubens- und Lebenssituation.

Das Gleichnis, das wir soeben gehört haben, gibt solche Hilfen vielfach.

ICH BIN DER MANN, DEM DER WEINBERG GEHÖRT

Ich will endlich den Ertrag sehen, meine Geduld ist am Ende. So ist es im Beruf, so geht es mit den Kindern. Wann endlich kann ich Früchte ernten? Und all das Mühen in und mit unserer Kirche. Wo sind die Trauben? Aber da kommt der Weingärtner. Er widerspricht . Er verlangt mir Geduld ab, ja, er setzt sein eigenes Bemühen ein. Er hebt die Ordnung nicht auf. Wenn nach einem Jahr wieder kein Ergebnis da ist, dann wird der Baum umgehauen.

Da fällt mir etwas aus der Benediktinerregel ein. Ordnung muß sein, und wer sie nicht einhält, soll bestraft werden (übrigens durch Entzug des Weines...) Wann liegt der Tatbestand, der strafbar ist, vor? Wenn der Bruder erst kommt, wenn im Stundengebet der erste Psalm z u E n d e gesungen ist. Und nun kommt der Satz, der die Haltung bestimmt: "Also singe man ihn g e t r a g e n ..."

"Herr, laß ihn dieses Jahr noch stehen..." Meine ordnenden Weisungen sollen sich mit solchem Zugeständnis der Geduld verbinden.

ICH SCHLÜPFE IN DIE GESTALT DES WEINGÄRTNERS

Der läßt den Feigenbaum nicht einfach stehen. Er müht sich um ihn. Dich muß den Boden um den Baum herum aufgraben, muß düngen...Ich bin mitverantwortlich für seine Dürre oder seine Frucht. Ein Schleier fällt von meinen Augen. Wieviele Menschen warten auf mein helfendes Umgraben... Das meint nicht nur mein Geld, das meint mein helfendes Wort, das Zusammenstehen. Und: ich kann auch die Frist für den anderen erbitten. In einem Streit, im Aufbäumen... Sogar in meiner Kirche. Da hat sich Frau X. jahrelang eingesetzt. Sie verzweifelt an der Folgenlosigkeit ihres Engagements. Sie will das beenden. Mit der Kraft der Hoffnung bitte ich sie: noch ein Jahr. Es könnte doch sein, daß die Früchte noch kommen.

UND NUN BIN ICH DER FEIGENBAUM

Ich stehe mitten in einem Weinberg, mitten im Reich Gottes. Ich bin dürr, ohne Frucht. Mir droht das Ende. Seltsam, das regt mich gar nicht besonders auf. Mich bewegt vielmehr: da ist einer, der sich um mich bemüht, der den Boden um mich herum umgräbt, der meine Verschüttungen öffnet. Da ist einer, der düngt, der gibt mir Kraft. Das ist Familie, das sind Freunde, das ist die Gemeinde.. Erschlafft mein Glaube, so stärkt mich der andere . Wo ich ausfalle, ist er oder sie da. Ich soll Frucht tragen, damit Du, der Du mir geholfen hast, Dich daran stärken kannst.

Und der HERR, der da droht, mich umhauen zu lassen? Noch einmal, das regt mich nicht so schrecklich

auf. Mich bewegt, daß er an meiner Frucht Interesse hat, daß ich IHM nicht gleichgültig bin. Er traut mir zu, daß ich doch noch Frucht trage. Da sind wir denn auch, das sei wenigstens eingefügt, bei dem, was Lukas durch das Jesuswort seinen Zeitgenossen sagen will.

Im Ersten Testament wird Israel öfter mit einem Feigenbaum verglichen. Lukas sagt seinen jüdischen Mitbürgern: Ihr habt noch eine letzte Frist, bekehrt euch! Unser Text steht inmitten von Texten, die zur Umkehr aufrufen. Das ist der Sinn jeder Buße: Ich sehe ein, mein Weg war falsch, war unvollkommen. Und nun raffe ich mich auf zur Umkehr. B u ß e das ist n i c h t Quälerei, Geißeln, Sündenverlorenheit, nein, aus der Buße wächst die Kraft zum Aufbruch, zur Umkehr. Der Herr will meine Früchte. Der Weingärtner hilft mir. "Vielleicht trägt er doch noch Frucht..." Das trifft uns als Einzelne , das gilt uns als Gemeinde, die wir um die Einheit, um das Miteinander, um die Ökumene beten. Wir haben nicht selten Enttäuschung erfahren. Wir schauen jetzt auf den ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin... Vielleicht trägt er doch noch Frucht... W i r sind es, die das Umgraben, das Düngen zu bestellen haben. Unsere Gemeinsamkeit h e u t e ist ein Beitrag zum Gelingen, ist eine Ahnung der Frucht, ist ein Zeichen gelebter Hoffnung.

 

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