Die Diskussion um den Religionsunterricht (III) 

 

In den letzten Ausgaben der Pfarrnachrichten wurde die Situation des Religionsunterrichts im Land Berlin dargestellt, das durch eine Ausnahmeregelung im Grundgesetz den Religionsunterricht nicht zu den ordentlichen Lehrfächern der Berliner Schule zählt. Daraus resultieren viele schulpraktische Schwierigkeiten, die den Religionsunterricht an den Rand der schulischen Bildungs- und Erziehungsarbeit drängen. Nach der Wende haben die neuen Bundesländer auf der Basis des Artikels 7 des Grundgesetzes mit den Kirchen einvernehmlich Regelungen zum Religionsunterricht getroffen – trotz der im Vergleich zu den alten Bundesländern sehr unterschiedlichen konfessionellen Prägung der Bevölkerung – bis auf die Ausnahme des Landes Brandenburg.
Was war hier geschehen?

Die Entwicklung des Konflikts

Die Idee zu einem völlig neuartigen Unterrichtsfach, das die weiten Themenfelder Lebensgestaltung, Ethik und Religion abdeckt, hat ihren Ursprung in den letzten Tagen der DDR. Dieser Gedanke bedeutete einerseits Kritik an der ideologischen Indoktrination des SED-Staates und zielte andererseits auf die Behebung des Mangels an Wissen und Kenntnissen in weltanschaulichen, lebenspraktischen, ethischen und religiösen Fragen. Diese Defizite in der Bevölkerung sollten nun durch das schulische Bildungsangebot „Lebens-gestaltung-Ethik-Religion" mit abgebaut werden. Nach dem Beitritt der neuen Bundesländer fand diese Konzeption, natürlich unter den Bedingungen der politischen Mehrheitsverhältnisse – nur im Land Brandenburg eine politische Umsetzung. Die Befürworter des Faches hoben hervor, daß sich mit LER als Pflichtfach kein Schüler mehr der Beschäftigung mit Religion entziehen könne, daß die gemeinsame Erziehung die Toleranz fördere und die konfessionellen Unterschiede der Schüler nicht mehr trennend wirkten, und hofften somit auf die Zustimmung und Mitarbeit der Kirchen. Recht bald wurde jedoch ein fundamentaler Konflikt deutlich. Die Landesregierung unter Ministerpräsident Stolpe mit der Landtagsfraktion der SPD im Rücken setzten LER an die Stelle des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach. Mit dem seit 1996 gültigen Schulgesetz ist LER – R steht mittlerweile für „Religionskunde" – ein „weltanschaulich neutrales, wertorientiertes und bekenntnisfreies" Unterrichtsfach. „Es will unterschiedliche Werte und Normen, Lebensvorstellungen und ethische Positionen im Unterricht bedenken, diskutieren und auf diesem Hintergrund zu eigenen Überzeugungen und verantwortlichen Entscheidungen befähigen..., auch Religionen und Weltanschauungen zum Gegenstand von Unterricht und Lernen machen, ohne eine bestimmte Sicht und Überzeugung, eine Religion oder Weltanschauung als richtig, gültig und verbindlich hinzustellen oder zu vermitteln".
Auf Grund dieser Ausrichtung werden im Fach keine Noten erteilt.
Der konfessionelle Unterricht in der Verantwortung der Kirchen ist somit aus der schulischen Bildung und Erziehung herausgenommen und allenfalls als kirchliche Veranstaltung in Schulräumen geduldet, wenngleich vom Land teilfinanziert.

Die Tragweite des Konflikts

Die Kirchen und Befürworter des Religionsunterrichts in Politik und Gesellschaft richten schwere Vorwürfe und tiefgehende Fragen an die LER-Seite, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Das Land Brandenburg begeht Verfassungsbruch, da es als neues Bundesland dem Grundgesetz und mithin auch dem Artikel 7 (3) unterliegt, der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach zwingend vorsieht. Es verletzt damit das Grundrecht der Eltern und Schüler auf religiöse Unterweisung.
  • Der Staat beansprucht für sich die alleinige Kompetenz bei der werteorientierten Erziehung der Schule. Dahinter steht ein Staatsverständnis, das von einer strikten Trennung von Kirche und Staat ausgeht, so wie sie in der DDR vorherrschte.Kardinal Wetter formulierte: „Die Inhalte eines Weltanschauungsfaches zu bestimmen, gehörte bisher zu den Ideologien totalitärer Regime". Das Grundgesetz hat sich dagegen auf das Modell eines Staates festgelegt, der selbst nicht in der Lage ist, ein Wertebewußtsein hervorzubringen, sondern dies den Kräften einer pluralen und demokratischen Gesellschaft überläßt.
  • Die Wertebasis des Fachs LER ist äußerst fragwürdig: eine vom Staat entworfene „Zivilreligion", eine „diffuse Ethik" anstelle gelebter Überzeugungen, ein „multireligiöser Mischmasch" ohne authentische Glaubenserfahrung. Es ist gefährlich für den Erziehungsprozeß, daß die Schüler auf ihre oft sehr persönlichen, existentiellen Fragen jeweils unterschiedliche Antworten aus Religion, Weltanschauungen oder Philosophien erhalten, die gleich gültig und damit gleichgültig nebeneinanderstehen.
  • Dem Konzept von LER liegt ein verkürzter Toleranzbegriff zugrunde. Wenn junge Menschen „gemeinsam leben lernen" sollen, und nicht nur mit Kenntnissen vollgestopft, sondern ganzheitlich erzogen werden, dann gelingt dies nicht dadurch, daß allen unterschiedslos gleichzeitig Gleiches vermittelt wird.

  • Toleranz gewinnen Schüler, indem sie das Unterschiedliche erfahren. Von Dialog und Verständigung kann daher nur sinnvoll gesprochen werden, wo gleichzeitig diese Differenz unterschiedlicher Positionen gelebt und dadurch erst gelernt werden kann.
     
  • Dem Konzept von LER liegt ein verkürzter Toleranzbegriff zugrunde. Wenn junge Menschen „gemeinsam leben lernen" sollen, und nicht nur mit Kenntnissen vollgestopft, sondern ganzheitlich erzogen werden, dann gelingt dies nicht dadurch, daß allen unterschiedslos gleichzeitig Gleiches vermittelt wird.Toleranz gewinnen Schüler, indem sie das Unterschiedliche erfahren. Von Dialog und Verständigung kann daher nur sinnvoll gesprochen werden, wo gleichzeitig diese Differenz unterschiedlicher Positionen gelebt und dadurch erst gelernt werden kann.
  • Der weltanschaulich neutrale Lehrer ist eine Fiktion. Werte, die das Leben des einzelnen Menschen gestalten, können nicht neutral vermittelt werden, sondern nur in der Einheit von Wort und Leben des Erziehers. Der Heranwachsende muß erkennen können, auf welchen Grundsätzen das Wertegefüge seines Lehrers aufbaut. Die Behauptung einer neutralen Position dient nur der Verschleierung der eigenen Absichten und Überzeugungen. Diese Bedenken wiegen umso schwerer, als ein erheblicher Teil der LER-Lehrer schon im DDR-Schulsystem eine entsprechend eindeutige und gegen die Religion gerichtete Weltanschauung vertrat.

Die aktuelle Situation

Angesichts dieser weit über den Religionsunterricht hinaus reichenden, bis auf das Grundverständnis von Staat, Gesellschaft und Individuum zielenden Problematik ist es nicht verwunderlich, daß LER bundesweite Bedeutung erlangt hat. Viele vermuten, daß damit eine grundsätzliche Richtungsänderung im Verhältnis von Kirche und Staat angestrebt wird und LER am Anfang einer weitreichenden politischen Entwicklung steht. Sogar der Bundestag befaßt sich mit dem Thema und forderte 1996 die Landesregierung von Brandenburg auf, eine verfassungsgemäße Regelung zu suchen – vergeblich. Daraufhin erhob die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Klage beim Bundesverfassungsgericht, ebenso die Ev. Landeskirche, drei betroffene katholische Bistümer, darunter Berlin, und eine Elterngruppe. Erst kürzlich wurde bekannt, daß frühestens am Ende des Jahres 1999 mit einem Urteil zu rechnen sei. Bislang führte das Land das Fach LER stufenweise in seinen Schulen ein, die Evangelische Kirche schloß mit dem Land eine Vereinbarung über die Erteilung von Religionsunterricht in Schulräumen, während die Katholische Kirche den Unterricht in der Gemeinde erteilt. Schüler, die den konfessionellen Unterricht besuchen, können sich von LER befreien lassen, womit ein praktischer Kompromiß für die Abwartezeit bis zum Urteil erzielt wurde.

J. Schweier  
 

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