Die Diskussion um den Religionsunterricht (I)

 

Was hat das Thema Religionsunterricht in unserem Mitteilungsheft zu suchen? 
Ist er nicht ein spezielles Problem der Schule und eigentlich längst geregelt? 
Spätestens seit dem Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichtes zum Islamunterricht rückte er wieder in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Dort werden grundsätzliche Fragen zur Berechtigung des Religionsunterrichts gestellt, und die Koalitionsvorgabe der PDS in Mecklenburg-Vorpommern forderte kürzlich gar seine ersatzlose Abschaffung. Für die lische Kirche haben die deutschen Bischöfe im vergangenen Jahr die Bedeutung des konfessionell gebundenen Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen unmißverständlich hervorgehoben, nachdem das gesamtgesellschaftliche Klima sich in dieser Frage zu verschlechtern drohte. Dieser Beitrag und seine Fortsetzungen sollen zeigen, daß der Religionsunterricht keineswegs ein harmloses Sonderproblem darstellt, sondern uns alle angeht. 

Ist Religion Privatsache? 
Bundeskanzler Schröder verzichtete wie die Mehrzahl seiner Minister bei seinem Amtseid auf den Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ und begründete dies auf Nachfrage, daß Religion Privatsache sei. „Religion ist Privatsache.“ Diese häufig zu hörende Aussage ist richtig und falsch zugleich. Sie ist insofern richtig, als die Entscheidung für oder gegen den Glauben eine rein persönliche und private ist und man die Christlichkeit eines Politikers nicht von einer vorgetragenen oder unterbliebenen Formel her beurteilen darf. 
Sie ist gleichzeitig jedoch auch falsch, weil die religiöse Haltung jedes einzelnen vielfältige Voraussetzungen und Rückwirkungen in Staat und Gesellschaft hat. 
So haben sich die privaten, gesellschaftlichen und staatlichen Aspekte der Religion in der Bundesrepublik zu einem besonderen Beziehungsgeflecht verwoben, das nicht ohne weiteres zu durchschauen ist. 

Religionsunterricht und Grundgesetz 
Das Grundgesetz garantiert im Rahmen der allgemeinen Grund- und Menschenrechte in Art. 4 die positive und negative Religionsfreiheit jedes einzelnen so, wie es die Rechtsordnungen der westlichen Demokratien vorgezeichnet hatten. 
Einen deutschen Sonderweg beschritten die Väter des Grundgesetzes jedoch mit dem Religionsunterricht, der im Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes (Art. 7 (3) GG) festgelegt wird: 

Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. 

Diese Form der Festlegung ist ungewöhnlich, zumal sie in der Reihe der Grundrechte auftaucht, deren Wesensgehalt nicht angetastet werden darf (Art. 19) und der Religionsunterricht als einziges Schulfach von einem derartig geschützten Verfassungsrang im Grundgesetz erwähnt wird. Seine Stellung im Gefüge der Grundrechte weist ihn in erster Linie als Recht der Eltern auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder aus. Diese grundlegende Verankerung war den Vätern des Grundgesetzes nach der unmittelbaren Erfahrung mit der Katastrophe des Nationalsozialismus wichtig. Sie bildet gleichzeitig eine sinnvolle Ergänzung zur weltanschaulichen Neutralität des Staates und seines Schulwesens. Der Rang des ordentlichen Lehrfachs stellt klar, daß seine Erteilung staatliche Aufgabe und Angelegenheit ist. Er unterliegt dem staatlichen Schulrecht und staatlicher Schulaufsicht und genießt dieselbe Stellung wie andere Lehrfächer. 
Eine Sonderstellung gegenüber anderen Fächern erwächst dem Religionsunterricht freilich aus der Tatsache, daß er in konfessioneller Ausprägung und Gebundenheit an die Glaubensgrundsätze der Kirchen erteilt werden muß. Er ist keine über- oder multikonfessionelle vergleichende Betrachtung von Religionen, relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte oder bloße Moral- oder Sittenlehre. Er vermittelt Bekenntnisinhalte der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als Wahrheiten zu lehren, ist seine Aufgabe, wobei die Art und Weise des Lehrens von den Religionsgemeinschaften bestimmt wird. Der Staat ist jedoch nicht verpflichtet, jede Religionsgemeinschaft in gleicher Weise zu akzeptieren. Als Fazit der grundgesetzlichen Aussage läßt sich festhalten: 
Der Religionsunterricht ist keine Gunst, die der Staat je nach politischer Situation seinen Bürgern gewährt, sondern grundrechtlich verbrieftes Recht der Eltern auf die von ihnen gewählte konfessionelle Unterweisung ihrer Kinder. Diese Tatsache wird in der Öffentlichkeit nicht selten verdrängt. 

Weshalb die Länder Berlin und Brandenburg diese Regelung des Grundgesetzes nicht übernommen haben, wird im Folgebeitrag erläutert. 

J. Schweier         

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