DIAKONIA. Internationale Zeitschrift für die Praxis der Kirche. 31. Jahrgang. Heft 6. November 2000. S. 412-415. 

 

Andrea Frenzel

Eine Homepage für die Gemeinde

(Selbst)kritische Revision eines Booms

Gemeinden ins Netz! Frühere Zurückhaltung hat sich zu einer Schwemme gemeindlicher Internetauftritte gewandelt. Erfahrungen aus Berlin.

www.gemeinden-in-berlin.de

Ursprünglich konzipiert als Website einer Süd-Berliner Kuratie, entstand 1997 aus einer Initiative ehren- und hauptamtlicher Gemeindeglieder das heutige Internetprojekt GiB – Gemeinden in Berlin.

Es begann mit einem Informationsabend und mehreren Tagesseminaren zu ‚Computer-‘ und ‚Internetgrundlagen‘. So sollten interessierte, dem Medium aber noch fern stehende Menschen zur Teilnahme an dem Projekt befähigt werden. Darüber hinaus verstanden sich diese Einführungsveranstaltungen auch als offenes Angebot für Computerneulinge – im Zeitalter der elektronischen Kommunikation durchaus eine Spielart diakonischer Arbeit.

Zunächst gab es untypisch starke Resonanz: Zum Infoabend erschienen 44 Personen (von 1600 Gemeindegliedern). Immerhin 28 nahmen an den Tageskursen teil. Die schließlich entstandene Gruppe bestand aus zwölf Menschen aus drei Gemeinden; genug, um an zwei Terminals an der inhaltlichen und technischen Konzeption der Website zu arbeiten. Zielgruppe waren computerinteressierte Jugendliche und Erwachsene. Das Team begann seine Arbeit schließlich mit einem Altersquerschnitt von 16 bis 60.

So weit, so gut: Personell wie auch inhaltlich sollte das Projekt möglichst weit gefächert, eben vielfältig vernetzt sein und so dem Medium wie dem Anspruch auf pastorale Vielfalt gerecht werden. Ein Workshop zu den geplanten Inhalten erbrachte eine Fülle von mehr oder weniger üblichen Ideen: Gottesdienstzeiten und Veranstaltungshinweise der umliegenden Gemeinden, Kommentare zu Ereignissen aus Kirche und Welt, aktuelle und grundsätzliche Informationen zum Gemeindeleben, theologische Artikel, Diskussionen, Rezensionen, Jahresvorschau, Gemeindestatistik, virtuelle Kirchenführung, Aufruf zu Spendenaktionen... Von Anfang an setzte das Projekt auf Interaktivität und Transparenz mit Feedback-Seite, eMail-Kontakt, Linkliste, Zähler, Mehrsprachigkeit, Hintergrundinformationen zur Projektgeschichte usw.

Dazu gab es Pläne zur Kooperation und Vernetzung mit Partnern aus Region bzw. Dekanat, Stadtteilarbeit, Ökumene, europäischen Gemeinden und Entwicklungsarbeit. Von diesen konnte lediglich die Zusammenarbeit mit einigen Nachbargemeinden und der Kirchenzeitung des Erzbistums dauerhaft verwirklicht werden.

Die ursprüngliche Zielformulierung lautete: „Wir möchten ein authentisches und lebendiges Bild des Lebens unserer und anderer Gemeinde(n) mit verlässlichen Informationen in mediengerechter Präsentation zeigen. Unsere Zielgruppe umfasst Südberliner Katholiken ebenso wie Kirchennahe und Fernstehende aus ganz Deutschland sowie Christen und Interessierte aus aller Welt. Unser Ziel ist es nicht, der Informationsflut Entbehrliches hinzuzufügen, sondern ein Forum zu bieten, in dem sich Kirche vor Ort lebendig darstellt." So sollte die Homepage hauptsächlich Information und Kontaktmöglichkeiten bieten; sie verstand sich – wie wohl die meisten ihrer Art – nicht als ausgeklügeltes Evangelisierungsinstrument.

Das Spektrum der Möglichkeiten schien nahezu unbegrenzt. Dabei entsprangen die relativ hochfliegenden Vorstellungen der Überzeugung, die Seiten, sollten sie dauerhaft etabliert und genutzt (!) werden, in verschiedenen, nicht unbedingt konvergierenden ‚Lebensräumen‘ des Netzes ansiedeln zu müssen: nämlich global im christlichen Milieu und zugleich lokal im empirischen Einzugsbereich der Pfarrei mit möglichst vielen für das soziale Umfeld relevanten Kooperationspartnern. Die Gemeindeglieder vor Ort bildeten gewissermaßen die Schnittmenge dieser virtuellen Biosphären, waren aber als potentielle User mengenmäßig zunächst von geringerer Bedeutung.

Obwohl das Projekt sich wie angestrebt von einer reinen Gemeinde-Homepage zu einer Art Miniatur-Portal für Pfarreien der Region entwickelte, gab es gerade im Bereich der Kooperation viel Ernüchterung. Manche Visionen, wie das Erstellen eigener Newsgroups und die Kommunikation mit weit entfernten Gemeinden, blieben Zukunftsmusik. Das Interesse an dem neuen Medium war bei vielen möglichen Partnern und insbesondere bei den Gemeindeleitern tendenziell eher schwach ausgeprägt; Wissen um die Chancen und Herausforderungen des Internets war kaum vorhanden. Indifferenz oder gar Misstrauen gegenüber dem Medium herrschten vor.

Auf der anderen Seite zeigten sich bei technisch versierten möglichen Mitarbeitern (landläufig: Computerfreaks) starke Individualisierungstendenzen, die das unbehelligte Experimentieren mit ‚eigenen Seiten‘ zur Priorität machten.

Die Finanzierung war einmal nicht das Problem, da die Kosten der Netzpräsenz in diesem Umfang vergleichsweise gering sind; sie werden hier von der Gemeinde, dem Förderverein und den Projektmitarbeitern selbst getragen.

Nach einem viel versprechenden Anfang zeigten sich rasch die – vielen privaten Homepage-Anbietern vertrauten – ersten Ermüdungserscheinungen. Da das Projekt mit hauptamtlicher Billigung, aber ehrenamtlichem Engagement betrieben wurde, nahm die Zahl der Mitarbeiter mit der Zeit ab. Schnell zeigte sich, dass die Computerneulinge (d.h. hier die Älteren) trotz aller Unterstützung als Erste das Handtuch warfen. Mit der Zeit schrumpfte die Projektgruppe, sodass heute neben dem unerschütterlichen Webmaster noch drei weitere Mitglieder mal mehr, im Allgemeinen aber eher weniger daran arbeiten. Immer wieder kommt es trotz bescheidener Erfolge zu Motivationskrisen. Der Eintritt in die Realität der Gemeinde-Netzwelt setzte für das Team einen Lernprozess in Gang. Manche Ambitionen mussten zumindest vorläufig zurücktreten, dafür will die Pflege der Seiten mit Ausdauer und Einsatz bewältigt werden.

Gemeinde-Homepages:
Bunte Hunde rudelweise

Der Aufschwung des Internets ist unaufhaltsam und mittlerweile auch in Kirchenkreisen spürbar. Vom weitgehend ignorierten Innovationsziel wandelt sich der Netzauftritt allmählich zum unumgänglichen Standardziel der Gemeindearbeit – Pflichtgefühl beginnt um sich zu greifen.

Heute sind 37 Gemeinden des Erzbistums Berlin im Netz vertreten, das sind etwa sechs Prozent, davon 19 auf je eigenen Seiten und weitere 18 auf zwei übergreifenden Homepages. Wenn die Zahl auch anteilsmäßig gering erscheint, lässt doch das Tempo der Entwicklung aufhorchen: Noch 1997 waren ganze drei Berliner Gemeinden im Netz.

Die Inhalte variieren. Zur Grundausstattung gehören Informationen zu Geschichte und Architektur der jeweiligen Kirche mit Grafik oder Foto, Veranstaltungskalender und Gottesdienstplan und Kontaktmöglichkeiten einschließlich eMail. Im Grunde also nichts, was nicht auch der Pfarrbrief leisten könnte, nur elektronisch zugänglich. Viele Gemeinden haben daher die Notwendigkeit erkannt, den Nutzern des www, die eben bei weitem nicht mit der Kerngemeinde gleichzusetzen sind, zusätzliche Anreize zum Anwählen der Seiten zu bieten. Diese Palette ist bunt: Exemplarische Inhalte sind virtuelle Kirchenführungen oder interaktive Panoramen, Presseschau zum Gemeindeleben, Meinungsseiten, Gebetsecken sowie unterhaltsame oder informative religiöse Kostproben (z.B. Tiere in der Bibel, Glaubensstichworte, Heiligenkalender).

Technische Qualität und grafische Gestaltung sind sehr unterschiedlich. Neuere Seiten sind oft professioneller im Layout, d.h. sie setzen auf übersichtliche Benutzerführung statt auf Showeffekte. Etliche Gemeindeseiten bieten mittlerweile ein beachtliches ‚handwerkliches‘ Niveau, sicher auch in dem Wissen, dass Enthusiasmus allein sich nicht gegen die stetig wachsende Zahl technisch perfekter Websites wird behaupten können.

Die Diskussion um Dezentralisierung contra Fragmentierung im Internet berührt auch die Gemeindehomepages. Je zahlreicher sie werden, desto mehr muss der potentielle Nutzer auswählen und desto weniger Geduld wird er für Seiten mit irrelevanten Inhalten oder amateurhafter Machart aufbringen. Jede Gemeinde sollte sich dementsprechend nicht nur in der Pastoral vor Ort, sondern auch bei ihrem Internet-Auftritt darüber klar sein, welche Zielgruppen sie mit ihren Seiten erreichen möchte. Möchte ich der Pfarrei verbundene Menschen ansprechen? Wie viele von diesen würden den Kontakt überhaupt auf elektronischem Wege suchen, da ihnen auch zahlreiche traditionelle Kommunikationskanäle zur Verfügung stehen?

Möchte ich potentiellen Besuchern der Region einen Anreiz zum Besuch unserer Kirche bieten? Wie sollen sie als ausländische Touristen meine kunsthistorischen Ausführungen würdigen, wenn meine gesamte Website in Deutsch verfasst ist?

Möchte ich Kirchenfremde zur Nutzung meiner Seiten animieren? Warum sollten sie gerade unsere Homepage anklicken und nicht die Website der Pfarrei nebenan oder der am anderen Ende der Republik? Oder ist mir das egal? Was will ich dann überhaupt im Netz?

Wenn das Internet nicht als globales Dorf, sondern als Umgebung zu verstehen ist, in der viele verschiedene Dörfer gedeihen werden, wie die amerikanische Netzexpertin Esther Dyson meint, dann sollten auch die Gemeinden langsam ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie Teil einer oder mehrerer dieser Gemeinschaften sind und dass Vereinzelung auch in der virtuellen Realität durch Verbindung, Austausch und Zusammenarbeit überwunden werden kann. Liegt es in der Natur der Sache, dass die hierarchisch organisierte Kirche Schwierigkeiten damit hat, die egalitäre Struktur des Netzes zu begreifen und sich ihr anzupassen, sodass gerade auf der Ebene der kleineren Einheiten, der Gemeinden, so wenig Vitalität spürbar ist, während Vatikan und Bischofskonferenzen den Sprung ins Netz souverän meistern? Dabei kann die Verbindung von oben nach unten, gewissermaßen ein Heimvorteil der Kirche, durchaus sinnvoll zur Kräftigung der kleineren Gemeinschaften genutzt werden: Portale wie katholische-kirche.de helfen mit spezifischen Linklisten, Diözesen wie Mainz stehen den Gemeinden mit Internetbeauftragten zur Seite, andere wie das Erzbistum Berlin bieten immerhin auf Anfrage Unterstützung bei der Gestaltung der Homepages an. In diesem Sinne rät auch die United States Catholic Conference in ihrer Resolution zur Computer-Vernetzung: „Wir ermuntern zu einem umfangreichen Informations- und Ideenaustausch unter Kirchenleitung und Kommunikatoren über den schöpferischen Gebrauch der Computer-Vernetzung und des Internets im Dienst des seelsorglichen Auftrags der Kirche."

Dies entbindet die Gemeinden nicht von eigenem Engagement und eigener Verantwortung, soll ihre Existenz in der virtuellen Realität nicht zum Schattendasein werden.

Forderungen und Tendenzen

Relevanz, Aktualität, Effizienz und Interaktivität sind die Eckpfeiler einer erfolgreichen Präsenz von Kirchengemeinden im Internet. Selbstorganisation nach dem Vorbild der etablierten kirchlichen Strukturen (z.B. auf Dekanatsebene) oder in ganz neuen Allianzen verhelfen ihnen zu einer Identität innerhalb der neuen Web-Gemeinschaften jenseits von Konkurrenzverhalten.

Bistums- und Gemeindeleitungen sollten fördernd und unterstützend tätig werden, wo es nötig und möglich ist. Dies beginnt schon damit, den Stellenwert des Internets für eine zeitgemäße Verkündigung in den Strukturen der Öffentlichkeit anzuerkennen und zu vertreten.

Gemeindeteams sollten aber auch direkt miteinander in den Austausch über ihre Konzepte und Erfahrungen treten. Viele neue Wege sind noch zu beschreiten: Wo bleiben z.B. die Kinder auf den gemeindlichen Internetseiten?

Das Interesse am Medium wächst weiter. Es wird mehr und mehr User geben, mit deren Zahl auch der Anspruch an die Leistung des Mediums wachsen wird. Professionelle Webdesigner werden die treuherzigen Layouts der ehrenamtlichen Bastler immer älter aussehen lassen... andererseits gibt es in wenigen Jahren vielleicht tatsächlich mehr als zwei Messdiener, die sich den vom Oberministranten alias Webmaster liebevoll ins Netz gestellten Dienstplan abrufen...

Alle weiteren Voraussagen seien den versierten Kommunikationspropheten überlassen, nur einen letzten Blick werfen wir auf das programmierte Ende der Schwemme: Wie es seine Art ist, wird der Boom abflauen und tote Links treiben durchs Netz wie die abgenagten Panzer vieler kleiner hoffnungsvoller Meeresschildkröten, die zurück ans Ufer gespült werden. Einige aber kommen durch – sie überwinden die Gefahren der Vereinzelung, der vorzeitigen Erschöpfung. Sie werden große Schildkröten, die durch das weite Meer schwimmen ... oder vielmehr surfen ... Und wer weiß, wo sie dann noch landen werden ...